Berufliche Sinnkrise und Partnerschaft mit Arzt

Liebe Community,

ich habe eine innere Zwickmühle und Zweifel und mich würde interessieren wie ihr sie Lust. Mein Partner (34) und ich (31) sind in einer Beziehung, in der es sehr gut läuft. Wir sind sehr vertrauensvoll miteinander und immer noch sehr verliebt. Wir haben viele Gemeinsamkeiten und können uns eine gemeinsame Zukunft mit Familie vorstellen.

Leider ist es so, dass er gerade seinen Facharzt macht und dadurch sehr involviert im KH ist (60+ Std.). Perspektivisch möchte er Oberarzt werden, unter anderem auch um weniger 24h Dienste zu haben und somit Zeit für Familie später. Mich belasten gerade zwei Dinge: Einerseits die knappe Zeit durch seinen Job, wodurch ich manchmal Sorge habe, durch die mir manchmal Nähe fehlt und bei der ich mich frage, wie sich das auf die Familienplanung / Eltern-Dasein etc. auswirken wird. Ich habe eine sehr gute Stelle in einem Unternehmen, das besonders familienfreundliche Rahmenbedingungen bei guter Bezahlung anbietet. Allerdings möchte ich nicht den Großteil der Erziehung alleine machen, sollten seine Dienste tatsächlich so viel Raum einnehmen.

Zum anderen merke ich immer mehr, wie ich die Sinnhaftigkeit meines Jobs infrage stelle. Es fällt mir schwer es mir einzugestehen, aber bei dem Gedanken daran, dass er täglich sehr viel für andere Menschen da ist, ruft in mir das Bedürfnis hervor, auch für andere Menschen in meinem Beruf da zu sein. Ich habe das Gefühl, dass meine Arbeit wenig Sinnvolles auf dieser Erde beiträgt und mir fehlt manchmal der Kontakt zu anderen Menschen außerhalb von Team und KollegInnen. Ich habe sogar schon mal überlegt, ob ich auch etwas Medizinisches lernen möchte, um meinem Leben mehr Sinn zu geben. Ich hoffe dass ihr diesen Impuls nicht verurteilt, vielleicht kennt der / die ein oder andere das ja. Was würdet ihr tun, um aus diesem inneren Konflikt zu kommen?

5

Hallo,

wir haben beide Jobs, die sehr familienunfreundliche Arbeitszeiten haben, inklusive Wochenenden und Feiertagsdienste. Als Paar ohne Kinder hat uns das nichts ausgemacht. Mit Kindern eine reine Katastrophe, wenn man kein funktionierendes Netzwerk um sich hat (hatten wir leider nicht).

Wenn du dich beruflich umorientieren möchtest, spricht nichts dagegen. Ich würde aber niemandem raten, in den medizinischen Bereich einzusteigen. Aus eigener Erfahrung weiß ich was es für ein Spagat ist, wenn man am Wochenende arbeiten muss, aber die Kinderbetreuung weggebrochen ist.

Für mich haben sich mit der Geburt meiner Kinder die Prioritäten geändert. Mein Job ist mein Job, ich bin da nicht mega glücklich, aber auch nicht komplett unglücklich.

Ganz rational würde ich sagen: behalte deinen Job. Wenn Kinder dazu kommen, wirst du dich über die günstigen Arbeitszeiten freuen. Wenn du jetzt anfängst zu studieren, wie stellst du dir die Familienplanung vor?

1

* wie ihr sie lest soll das natürlich im ersten Satz heißen :)

2

Also zu Deinem ersten Punkt: es kommt natürlich darauf an, welche Fachrichtung Dein Freund eingeschlagen hat. Wenn es nicht gerade Chirurgie oder Anästhesie sind, hast Du gute Chancen, dass sich das mit dem Zeitmangel massiv bessert, sobald er Oberarzt ist. Er hat dann natürlich auch Hintergrunddienste, die lassen sich aber je nach Fachrichtung oft telefonisch regeln. Ich bin mit einem Oberarzt verheiratet und kann da nicht klagen. Wir habe auch Kinder und ich fühle mich nicht alleine gelassen. Also dass jemand Arzt ist, schließt nicht aus, dass er Familie hat und auch Zeit für diese.

Zu Deinem zweiten Punkt: das kann ich jetzt so nicht genau nachvollziehen, weil ich auch in der Medizinbranche arbeite. Aber ich würde mir mal überlegen, warum Du das genau so empfindest? Ist es wirklich nur, weil Du denkst, Du kannst nichts sinnvolles beisteuern? (Ehrlich gesagt finde ich, dass jeder Beruf seine Berechtigung hat. Ich weiß ja nicht, was genau Du machst, aber was würden wir machen, wenn wir nur Ärzte hätten und keine… *beliebig einsetzen*)
Was anderes wäre es, wenn Du generell mit deinem Beruf unglücklich bist und Dir das, was Du machst keinen Spaß mehr macht. Dann würde ich überlegen, nochmals was anderes in Angriff zu nehmen - mit 31 ist es nicht zu spät. :)

Bearbeitet von PsychDog
8

Vielen Dank! Er hat in der Chirurgie begonnen, sich dann aber genau aus diesen Gründen umorientiert und ist nun in der Urologie, vor allem auch in einem kleinen Krankenhaus, da er bei den Unikliniken sieht, wie schlecht die Rahmenbedingungen sind (Zeitausgleich, Umfeld, …) Er fühlt sich in dem Team jetzt sehr wohl, da er sagte, dass es auch unter Ärzten sehr unangenehme Umfelder geben kann. Wie du es beschreibst, scheint diese Entwicklung dann ja positiv zu sein.

Zu dem zweiten Punkt: Ich glaube das hängt auch noch mit einer anderen Sache zusammen: ich frage mich manchmal, ob es für uns von Nachteil ist, dass ich nichts Medizinisches mache und ob so etwas für die Verbindung in einer Partnerschaft manchmal hilfreicher ist, wenn man auch in der Hinsicht ähnliche Leidenschaften und Freude an Themen hat. Er sagte mir, dass ihm nicht wichtig ist, was die Partnerin beruflich macht. Ich habe Sorge, dass wir die Verbindung zueinander verlieren. Er sagte auch mal, dass man eine Arbeitsfamilie und die Familie zu Hause hat, und dass man mit der Arbeitsfamilie teilweise mehr Zeit verbringt, weswegen man sich dort wohlfühlen sollte. Das hat in mir Ängste ausgelöst, dass er mit der Arbeitsfamilie womöglich eine größere Verbindung haben könnte.

3

Ich kann dich verstehen, dass du den Wunsch verspürst, wie dein Mann quasi Leben zu retten.
Aber erstens ist so ein Arzt-Job doch bestimmt auch oft nervig, weil man sich mit vielen unangenehmen Aufgaben befassen muss , und zweitens sind doch sehr viele Berufe wichtig für das gesellschaftliche Miteinander und Überleben.

Vielleicht wäre eine ehrenamtliche Aufgabe nebenher etwas für dich. ZB. gibt es bei uns im Krankenhaus auf der onkologischen Ambulanz Menschen, die die Patienten während ihrer Chemotherapie betreuen, Kaffee kochen, für Gespräche da sind.
Oder in einem Kinder-Hospizverein gibt es Ehrenamtliche, die Geschwisterkinder von sterbenskranken Kindern betreuen und dadurch die Familien entlasten.

Viele Aufgaben, die einem sicher Lebenssinn geben können.

Was die gemeinsame Zeit für die gemeinsamen Kinder angeht…….
Ich kenne auch Ärztinnen, die nur Teilzeit arbeiten und sich dadurch die Aufstiegschancen für eine Oberarztstelle zunichte gemacht haben. Das habe ich aber bisher nur von Frauen gehört.
Da müsste dein Mann überlegen ,was ihm wichtig ist.

4

Ich kann Deine "Sinnkrise" bzgl Deines Jobs sehr gut verstehen. Mir ging es auch so. Bis mir mein Schwager sagte: "Aber mit Deinem Einkommen und den daraus resultierenden Steuern leistet du doch auch Deinen Beitrag. Und durch Deinen Job haben viele anderen auch einen Job und können ihre Familien ernähren."
Schlussendlich muss einem die Arbeit in gewisser Weise Spaß machen. Etwas zurückgeben kann man auch auf andere Weise. Ob ein Ehrenamt im Sportverein, ob als Pate/Helfer im Tierheim, ob als Vorleser im Seniorenheim, ob als verständnisvolle Ehefrau für einen Arzt oder als liebe Kollegin die einem im Büroalltag mal ein Lächeln schenkt ... Es gibt viele Wege.

Wichtig ist, dass Du für Dich glücklich bist und Dich weder mit Deinem Partner vergleichst noch mit ihm in Konkurrenz trittst. Bleib auf Augenhöhe. Nur weil er "Arzt" ist, ist er kein besserer Mensch oder umgekehrt: weil Du keiner bist, bist Du weniger wert.

Bei mir kamen damals die Kinder. Und das hat meinem Leben einen echten Sinn gegeben. Ob Du/Ihr das wollt - auch mit dem Hintergrund, dass sich Dein Mann hier nicht so einbringen kann/wird musst du selber wissen. Für mich sind die Kinder die Bereicherung, die mir gefehlt hat.

9

Vielen Dank, das ist eine sehr schöne Perspektive! Ich beginne jetzt im Herbst eine nebenberufliche Stelle als Gastdozentin und vielleicht bringt mir das meinen Sinn wieder zurück, anderen Menschen etwas mitzugeben oder da zu sein. Und auch dein Punkt mit den Kindern ist sehr nachvollziehbar :)

6

Also mein Schwager ist Oberarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und da ist es nicht viel entspannter mit den Diensten. Keine 24h Dienste, aber permanent Bereitschaft und eben auch viel Arbeit, viele Fortbildungen, etc...
Letztlich kommt es sicher auch auf Fachgebiet und Klinik an, aber ich denke generell wird es einem Arzt in einem deutschen Krankenhaus nicht langweilig, besonders bei dem Ärztemangel.

Ich würde da einfach transparent mit ihm sein und deine Sorgen teilen. Besprecht eure Vorstellung eurer Rollen, auch später im Familienkontext bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Wie oft schreiben vor allem Frauen weil sie sich plötzlich in der Hausfrauen-Rolle wiederfinden die sie nie wollten. Da müsst ihr schon vorher eine Lösung haben. Aber wenn ihr so glücklich seid, stehen die Chancen doch gut dass ihr auf einen Nenner kommt 😊

10

Das stimmt :) Ich denke auch es ist Zeit für ein Gespräch um diese Dinge zu besprechen. Und wenn es stimmig ist in der Partnerschaft, werden wir da zu einer Lösung kommen.

15

Genauso ist es leider. Als Oberarzt fallen die Vordergrunddienste weg, aber je nach Fach ist es auch nicht so besonders toll Rufbereitschaft zu haben (Herzkatheter, nachts endoskopieren etc) und man muss, auch wenn man nachts zig Telefonate hatte oder sogar in die Klinik reinkommen musste am nächsten Tag normal um 7 Uhr weiter arbeiten.

Zudem die Arbeitsbedingungen leider nicht wirklich besser werden so wie es aussieht. Redet da einfach ganz offen drüber. Ich weiß ja nicht wie weit dein Partner ist, aber irgendwann verschieben sich auch die eigenen Prioritäten (spätestens wenn Kinder da sind). Man muss echt irgendwann aufpassen, dass man nicht ausgebrannt und verbittert ist, man verpasst einfach sehr viel.

Du kannst auch ohne Medizinstudium etwas sinnvolles für die Gesellschaft tun, z.B. ein Ehrenamt.

7

Hi,
studier Lehramt, wir brauchen Kollegen, dringendst, Grundschule voran.😉
Es gibt ja nicht wenige Menschen, die nochmal umsatteln, aus diversen Gründen. Meine Bankerfreundin z.B. betreibt schon lange eine HuTa. Warum auch nicht. War denn der von dir erlernte Beruf dein Herzenswunsch damals oder bist du da irgendwie reingeraten?
Ich würde an deiner Stelle jetzt aber ganz tief in mich reinhorchen, denn wenn du im medizinischen Sektor landest, ist das vielleicht auch lediglich irgendwie deinem Partner geschuldet und evtl. gar nicht wirklich dein Ding. Ich denke, dafür muss man schon eine echte Leidenschaft mitbringen, denn dort sind die Berufe und die Rahmenbedingungen ja doch echt hart. Aber wenn es so ist, go for it, gebraucht wirst du dort ganz sicher. Oder halt in der Schule😉.
Was die Familienorganisation anbelangt, kann ich dich total verstehen. Aber kann nicht auch ein Arzt Teilzeit arbeiten?

vlg tina

11

Liebe Tina,

vielen Dank! Was ist denn eine HuTa? ;)

Viele Grüße

13

Eine Hunde-Tagesstätte. Wusste ich aber auch nicht, dass es sowas gibt.
Mit Herrchen und Frauchen verhält es sich wohl so ähnlich wie mit Eltern.🤪

weiteren Kommentar laden
14

Ich denke, diese Sinnfrage hat jeder, wenn er nicht gerade einen Beruf hat, der offensichtlich viel Gutes für die Mitmenschen, die Welt usw. bringt. Viele Jobs müssen einfach gemacht werden, auch ohne diesen persönlichen Benefit. Auch ich würde dazu raten, dir ein sinnstiftendes Ehrenamt zu suchen. Man darf auch diese Art von Berufen nicht unterschätzen: Sie fordern oft viel, und sie haben eine Tendenz einen bis nach Hause zu begleiten und zu belasten. Das kann hart sein, wenn beide in so einem Job sind.

Bei uns ist es so, dass mein Mann einen extrem familienunfreundlichen Job hat. Es gibt sehr angenehme, gut planbare Phasen, dann wiederum ist er wochenlang unterwegs. Man kann das nicht leugnen: Es ist belastend, mal mehr, mal weniger. Unsere Partnerschaft ist stark genug dafür, wir kennen es auch nicht anders. Aber mein Leben hat sich mit den Kindern um 180 Grad verändert, meine eigene berufliche Laufbahn stagniert momentan - eine bewusste Entscheidung, weil klar war, dass wir nicht beide so weitermachen können und er einfach tatsächlich eine Karriere hat, während ich "nur" einen Job habe. Einer musste zurückstecken. Und Stand jetzt würde ich sagen: Es war eine sehr schwere, aber richtige Entscheidung, dass ich bei meiner auch sehr familienfreundlichen, flexiblen Stelle geblieben bin, obwohl ich ein anderes Angebot hatte. Ich bin jetzt schon oft an meinen Grenzen, weil die Mutterschaft an sich eben auch nicht das ist, wonach ich mich mein Leben lang verzehrt habe - ich glaube, es kann auch ganz anders sein, wenn Kinder der größte Wunsch im Leben sind. Dann empfindet man diesen Verlust nicht so schwer.

Manche Berufe fordern einen hohen Preis bzw. Partner, die bereit sind, das wirklich mitzutragen. Ich wusste vorher, worauf ich mich einlasse, und ich beiße mich da jetzt durch. Man wird immer harte Phasen haben, aber die gibt es in allen Familien. Wichtig ist nur, dass beide sich vorher genau im Klaren sind, was auf sie zukommt, was sie dem anderen zumuten, was sie ertragen werden müssen. Und dann Augen zu und durch :-D Bei euch ist doch zumindest absehbar, dass es nach dem Facharzt besser wird. Aber ja: Vermutlich wird mehr an dir hängenbleiben als ihm. Das muss man wollen und ertragen, ohne daran zu zerbrechen. Ich fordere für mich gewisse Dinge wie kinderfreie Kurzurlaube mit meiner Freundin ein, und da kenne ich auch keine Gnade ;-) Und das macht die schweren Phasen erträglich. Das und die Hoffnung, dass es mit zunehmendem Alter der Kinder nur besser werden kann... :-D